Bombardement mit Atommüll?
Januar 2002, Natur und Kosmos, Geseko v. Lüpke
Mit großer Wahrscheinlichkeit werden im ‚Kampf gegen den Terror‘ Waffen mit abgereichertem Uran eingesetzt
Der Schlachtenlärm mag schon längst verklungen sein, doch der Tod kann immer noch in der Luft sein. Die giftigen Partikel sind winzig klein. Sie schwimmen im Trinkwasser, werden vom Wind über das Land getragen, kleben unsichtbar auf Gemüse, Tellern, Kleidung. Wenn der radioaktive Staub eingeatmet wird, lagern sich die kurzwellig strahlenden, mikroskopischen Körner in Organen und Knochen ab. Unsichtbar und langfristig zerstören die staubigen Reste der urangehärteten Munition dort die Zellen, führen zu Krebs und verändern die DNA. Unterschiedslos bei Zivilisten oder Soldaten, Männern, Frauen und Kindern. Zahlreiche Indizien geben der Annahme Recht, dass die amerikanischen und britischen Streitkräfte bei ihrem Feldzug gegen die afghanischen Taliban Waffen einsetzen, die mit abgereichertem Uran gehärtet wurden. Trifft dies zu, dann ist nicht nur die Zivilbevölkerung und die Umwelt in Afghanistan akut gefährdet, sondern auch die amerikanischen und deutschen Soldaten, humanitäres Personal der Hilfsorganisationen, internationale Beobachter und Journalisten.
Munition mit abgreichertem Uran wird seit gut 15 Jahren von den USA, Großbritannien, Russland und Israel entwickelt, um den Projektilen und Bomben eine größere Durchschlagkraft zu geben. Derartig gehärtete Munition kann die Stahlwände von Panzern und die Betonwände von Bunkern durchbrechen – und wohl auch die Felshöhlen zerstören, in denen man den Logistiker des Terrors, Osama bin Laden, vermutet. Die toxische Wirkung entfaltet sich erst, wenn das Geschoss das Ziel trifft: In der hohen Hitze des Aufschlags verwandelt sich die metallische Schicht in abgereichertes Uranoxid – einen feinen radioaktiven Staub, der schwer zu entdecken und kaum abbaubar ist, und der sich durch Wind und Wasser leicht verteilt. Kritik am Einsatz dieser Waffen hat der Pentagon stets zurückgewiesen: von der kurzwelligen Alphastrahlung der Uran-Isotope gehe keine Gefahr aus, weil sie nur wenige Zentimeter weit wirke. Strahlen- und Umweltmediziner verweisen jedoch darauf, dass der lungengängige Staub im Körper gespeichert wird und dort auf Dauer und nachhaltig alle Zellen in der unmittelbaren Umgebung schädigt. Die Halbwertzeit des Stoffes liegt bei 4,5 Millionen Jahren. Gefährdet seien vor allem Kinder, die im Staub spielen und durch häufigen Kontakt von der Hand zum Mund besonders viel abgereichertes Uran aufnehmen. Seine toxische Wirkung würde zudem durch hochradioaktive, winzige Plutonium- und Uran236-Isotope verstärkt, die der Metallegierung beigemischt sind. Der hochgiftige Staub wurde deshalb als Hauptquelle des Golf-Krieg-Syndroms vermutet, an dem mehrere tausend US-Veteranen erkrankten und starben, sowie für Mißbildungen und Krebserkrankungen bei der irakischen Zivilbevölkerung verantwortlich gemacht. Spuren des abgereicherten Urans lassen sich in der Region heute immer noch nachweisen. Nach offiziellen Angaben wurden nicht nur im Golf-Krieg mindestens 300 Tonnen dieser Waffen verschossen. Die gehärtete Munition kam auch im Kosovo zum Einsatz, radioaktive Spuren wurde nach dem Balkankrieg von Spezialisten der vereinten Nationen gemessen.
Anfragen beim deutschen Verteidigungsministerium über den Einsatz urangehärteter Munition im gemeinsamen Anti-Terror-Krieg werden mit einem Hinweis auf die amerikanische Befehlsgewalt abgewehrt. Das US-Hauptquartier in Tampa/Florida jedoch verweigert jede Auskunft. Und in einer Fragestunde im britischen Parlament Anfang November beantwortete der britische Verteidigungsminister die Frage eines walisischen Abgeordneten nach dem Einsatz urangehärteter Waffen nur knapp und vage mit dem Satz: “Im Moment werden sie nicht benutzt”, eine schriftliche Anfrage beim Premierminister wurde nicht beantwortet. Doch für einen Einsatz der umstrittenen Waffen in Afghanistan spricht nicht nur die Tatsache, dass sie den vergangenen Kriegen regelmäßig zum Einsatz kamen.
So berichtet das amerikanische “Center of Defence Information” in seiner täglichen Analyse der Angriffe über den Einsatz von panzerbrechenden Waffen der Marke “Hellfire” am 17. Oktober 2001, und über bunkersprengende Bomben am 11. und 13 Oktober. Da alle moderneren Projektile für solche Ziele Gefechtsköpfe oder Ballastelemente aus gehärtetem Metall haben, gehen Fachleute davon aus, dass es sich um abgereichertes Uran handelt. Nach Auskunft der gut informierten Fachzeitschrift “Jane’s Defence Weekly” setzten die amerikanischen Streitkräfte schon in der ersten Angriffswelle mehrere hundert Tonnen sogenannter “Intelligenter Bomben” (SSB) der Marke JDAM sowie “Cruise Missiles” ein. Zwar hat die NATO schon beim Kosovo-Konflikt dementiert, dass diese Waffen abgereichertes Uran enthalten. Doch nicht nur Strahlungsspezialisten der UNO konnten an Einsatzorten dieser Waffen auf dem Balkan erhöhte Uranwerte feststellen, griechische Wissenschaftler maßen 1999, zwei Wochen nach Beginn des Krieges, noch meherer hundert Kilometer entfernt einen dramatischen Anstieg der atmosphärischen Strahlung.
Laut einem unbestätigten Bericht der regierungskritischen amerikanischen “Laizze Faire City News” räumte der Sprecher des amerikanischen Verteidigungsministeriums, Kenneth H. Bacon im Januar dieses Jahres ein, dass abgereichertes Uran in panzerbrechender Munition verarbeitet wird. Und vor Ausbruch des Afghanistan-Krieges kündigte die amerikanische Marine an, sowohl die Tomahawk Cruise Milles als auch die ‚klugen‘ SSB-Bomben mit “verdichteten Materialien” zu bestücken. Wenn abgereichertes Uran mit Titan vermischt wird, entsteht ein Material, dass pro Kubikmeter mehr als 18 Tonnen wiegt und auch in kleinen Mengen eine enorme Durchschlagkraft erhält. Offiziell sind jedoch keine Informationen darüber zu erhalten, ob es sich bei dem “dense metal” in allen neuen Waffensystemen um abgereichertes Uran handelt.
Die Wahrscheinlichkeit indessen ist hoch. Denn die amerikanischen Streitkräfte verfügen aus militärisch genutzten Atomreaktoren und der Atombombenproduktion über große Mengen abgereicherten Urans, dass mangels funktionierender Entsorgungskonzepte überirdisch gelagert wird. Kritiker des Einsatzes von abgereichertem Uran haben dem amerikanischen Militär deshalb schon häufig vorgeworfen, seine Feinde mit Atommüll zu bombardieren. Nicht ganz ohne Grund: Denn bei der Herstellung von Kernbrennstoffen werden nur 0,5 % des uranhaltigem Gesteins genutzt, der strahlende Rest von 99,5 % (480000 Tonnen) lagert auf Abraumhalden der amerikanischen Energie- und Verteidigungsministerien. Seit den ersten Versuchen im Jahr 1977, Munition mit abgereichertem Uran zu härten, ist aus dem Müll ein gutes Geschäft geworden.
Zwischentitel: Uran in Verkehrsflugzeugen
Dabei wird das extrem schwere Material offenbar nicht nur militärisch genutzt, sondern auch in der zivilen Luftfahrt als Gewichts-Stabilisator in Passagier und Transport-Maschinen verwendet. Paul Loewenstein, technischer Direktor der amerikanischen Firma “Nuclear Metals Inc.”, der die Flugzeugfirma Boing mit dem schweren Metall beliefert, bestätigte schon 1993, dass in die Flügel jeder Boing 747 etwa 450 Kiligramm abgereichertes Uran eingebaut werden. Das damit Flugzeugabstürze zu einem massiven Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung werden, blieb der Öffentlichkeit bislang weitgehend verborgen. Dabei war schon beim Absturz des El Al-Boings auf den Amsterdammer Stadtteil Bijlemeer im Oktober 1992 vermutet worden, dass die gesundheitlichen Probleme der Überlebenden mit dem abgereicherten Uran zusammenhingen. Beim Aufprall eines Passagierflugzeugs entstehen Temperaturen von mehr als 1200 Grad Celsius. Da sich das Material nach Auskunft der Hersteller schon bei 500 Grad Celsius in das staubige Uranoxid verwandelt, vermutete auch eine parlamentarische Untersuchungs-Kommission des niederländischen Parlaments in seinem Bericht vom April 1999, dass die Gesundheitsprobleme der Anwohner und Rettungskräfte auf das abgereicherte Uran zurückzuführen sind.
Auch beim Absturz der entführten Passagiermaschine auf das Pentagon am 11. September wurde offenbar uranhaltige Strahlung freigesetzt. Die Strahlenforscherin Janette Sherman vom “Radiation and Public Health Project” in Washington maß an diesem Tag, noch sieben Kilometer vom Pentagon entfernt, deutlich erhöhte Strahlungswerte, worauf eine Untersuchung eingeleitet wurde. Aus New York liegen der Öffentlichkeit bislang keine Messungen vor. Das dies kein Grund zur Entwarnung sein dürfte, geht aus einer Untersuchung hervor, die der amerikanische Physiker Robert L. Parker schon 1988 veröffentlichte. Im amerikanischen Magazin “Nature” warnte er davor, dass “im schlimmsten vorstellbaren Szenario 250000 Menschen mit ernsten gesundheitlichen Folgen” zu rechnen hätten, wenn sie nach einem Absturz auf dicht besiedeltes Gebiet die Uranoxid-Partikel einatmen oder schlucken.
Während die entsprechenden Untersuchungen bislang unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden, gehen die Angriffe auf Afghanistan weiter. Gesicherte Informationen über den Einsatz von abgereichertem Uran werden wohl bis auf Weiteres kaum zu erhalten sein. Doch die Indizien haben bereits zu Irritationen in der pakistanischen Öffentlichkeit geführt. Die englischsprachige Zeitung “Dawn” aus Islamabad befürchtet, dass der radioaktive Staub über den Kabul-Fluss bis in den Indus geschwemmt wird, der primären Wasserquelle der pakistanischen Bevölkerung und Landwirtschaft. Trockene Wüstenwinde könnten die Partikel über die ganze Region verteilen, wo sie langfristig in die Nahrungskette gelangen würden. “Dabei gibt es schlicht keine Möglichkeit, die Bevölkerung vor dem Fallout zu schützen”, schrieb die Tageszeitung.
Im Kosovo-Krieg waren Soldaten nach unbestätigten Berichten davor gewarnt worden, lokales Trinkwasser und Gemüse zu sich zu nehmen. Und auf die einzige Möglichkeit, sich vor dem strahlenden Staub zu schützen, werden amerikanische Soldaten aufmerksam gemacht, die in die Nähe beschossener Panzerwracks kommen. Ihnen empfiehlt das Verteidigungsministeium den unbedingten Gebrauch von Atemschutzmasken. Ob deutsche Bundeswehrsoldaten über die möglichen Gefahren informiert sind, ist unbekannt. Sollte sich der Verdacht des Einsatzes von abgereichertem Uran bestätigen, dürfte vor allem die afghanische Zivilbevölkerung unter den Folgen leiden. Die “humantitären Abwürfe” der US-Armee für die afghanische Bevölkerung enthielten bislang keine Atemschutzmasken, nur Kekse, Erdnussbutter und Transistorradios. Und selbst wenn der Hunger einiger Betroffener damit gestillt wird, können sich trotzdem Tragödien wiederholen, von denen internationale Beobachter im Irak nach der Operation “Wüstensturm” berichteten. Da hatten irakische Kinder aus Mangel an Spielzeug die spitz zulaufenden leeren Gefechtsköpfe aus abgereichertem Uran eingesammelt, mit Stoffresten geschmückt und als Puppe mit ins Bett genommen. Sie starben zwei Jahre nach Kriegsende an Leukämie.
Geseko v. Lüpke